Der Seltenbach
Strömt herbei ihr Völkerscharen
an des Seltenbaches Strand,
schaut dem Fluss, den wunderbaren,
einzig wohl im deutschen Land.
Denn er fließt, wie’s Wort schon deutet
äußerst selten nur im Jahr,
von Erscheinungen begleitet,
wie’s man nimmt nur selten wahr.
Ist sein Wasser auch nicht bläulich
und zum Teil auch manchmal dick,
wirkt er immer noch erfreulich
und sein Lauf bedeutet Glück.
und den weltbekannten Nil
möchte man ihn für heilig halten,
denn er nützt unendlich viel.
was er schafft mit Energie,
lässt kein Sterblicher sich träumen
mit der stärksten Phantasie.
Hühner, Hunde, Pelz und Fell,
zweifelhafte Frauenzöpfe,
manches noch, das nicht reell.
Dann kommt Mischung zweiter Güte
Filzpantoffeln, Stiefel, Schuh‘,
Sportmütz‘ und Zylinderhüte,
alles schwimmt der Donau zu.
Damenstrümpfe, Zipfelkappen,
Socken, Handschuh, Kinderpupp‘,
Leberwürst‘ und Ohrenklappen –
Spur von einer Metzelsupp‘.
Sonnenschirm und Regendach,
wie sie schon die
Römer hatten,
alles bringt der Seltenbach.
Reste von dem letzten Brand,
ungemein viel alte Krüge,
drum gibt’s Krieg im Serbenland.
Häfen, Körbe, leere Flaschen,
Büchsen, Schachteln, Porzellan,
Kränze mit verblich’nen Maschen
und der neuste Schundroman.
wird spediert per Wasserfracht
und zuletzt sei nicht vergessen
der berühmte Topf der Nacht.
Dank dem interessanten Flusse,
der dies alles weiter führt,
der mit solchem Hochgenusse
unsre Stadt kanalisiert.
jedes Ding hat seine Sach‘-
Straßburg hat sein schönes Münster,
Tuttlingen den Seltenbach.
K. E. Liebermann 1909
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